10.-12. September 2021, »Endlich, endlich, endlich!«, beim 12. Maltstock in Overasselt (NL)
Moin ihr,
in den letzten anderthalb Jahren musste fast alles an großen Whiskyveranstaltungen ausfallen. Keine der Messen, bei denen ich für gewöhnlich Gast bin, keine Whiskywochenenden. Hier und da ein paar Barmer-Ersatz-Online-Tastings, aber nach dieser langen Zeit der Auge-in-Auge-Abstinenz in größerem Kreis spürte ich persönlich doch deutlich, dass ein essenzieller Teil meines liebsten Hobbies fehlte.
Nachdem die Aquavitae in Mülheim an der Ruhr für Oktober 2021 ebenfalls abgesagt wurde, sah und sieht es auch weiterhin mau aus. Doch genau eine Ausnahme zeichnete sich für mich am Horizont ab: am niederländischen Whiskyfestival Maltstock wurde seit dem Sommer mutig geplant, es gab ‚wir schaffen das schon‘-Botschaften der Organisatoren und immer wieder ermunternde Zwischenupdates – und tatsächlich ließ der niederländische Rechtsrahmen nun eine abgespeckte Version der Veranstaltung zu.
Freitag
Durchgeimpft, in der Gewissheit dass die Einhaltung aller nötigen Schutzmaßnahmen vor Ort rigide geprüft werden würde und unendlich glücklich über ein Wochenende mit anderen Verrückten und viel gutem Whisky machte ich mich am vergangenen Freitag auf den Weg Richtung Südwesten.
Voller Vorfreude drehte ich das Radio auf und rauschte dreieinhalb Stunden in bester Laune auf mein Ziel zu:
Gegen 17.00 Uhr schlug ich dann hinter Nijmegen in einem gewissen Schullandheim in Overasselt auf und bezog meine gute alte Cabin:

Leider ohne meinen Bettnachbarn David, der aus Schottland stammend nicht ohne zehntätige Quarantäne hätte in die Niederlande reisen können und daher erst im nächsten Jahr wieder mit von der Partie sein würde.
Dass nach so langer Zeit des Wartens viel Energie und Freude in der Luft lagen, war spürbar. Mit fröhlichen Begrüßungen alter Bekannter, dem Kennenlernen neuer Gesichter und netten Gesprächen vergingen die ersten Stunden an den ‚Sharing Tables‘, Tischen, auf welche jede Besucher:in eine oder ein paar Flaschen Whisky für den gegenseitigen Genuss beisteuerte.
Dabei blieb das Whiskyglas natürlich nicht trocken, es wurde fleißig gedramt. Ich muss sagen, dass in diesem Jahr ein paar sehr stabile Whiskys dabei waren:






Dann schlich sich zwischen die ganzen Whiskys ein niederländischer Bierbrand – dem man seinen hopfigen Ursprung angenehm anmerken konnte – nicht schlecht!




Mit dem rauchigen und sehr süffigen Ledaig war es für den ersten Moment auch gerade genug – und zeitlich wie strategisch eine gute Gelegenheit sich am großen Buffet mit einem Abendessen zu stärken. Danach kurz durchschnaufen und dann wurde es Zeit für ein organisiertes Tasting.
Drei Verkostungen standen im Vorfeld der Veranstaltung zur Auswahl, ggf. entschied das Los, welches der drei die Gäste besuchen würden. Ich muss gestehen, ich hatte dabei großes Glück: ich wurde auf einen mir unbekannten Veranstalter namens ‚S.W.A.‘ gelost. Die Scotch Whisky Association würde kein Tasting halten, die gaben der Industrie nur Regeln. Was also sollte das sein?
Wie sich herausstellte, hatten sich mit David Stirk (Electric Coo Whisky, Autor, Berater), Mark Watt (Watt Whisky, Electric Coo Whisky) und Billy Abbott (The Whisky Exchange) drei Größen der Szene zusammengetan, um ein paar ihrer Abfüllungen aufzutischen.

In einer superlustigen Runde wurden die drei Gastgeber aus England bzw. Schottland zugeschaltet (Gäste von dort konnten die Niederlande ja nicht ohne Quarantänezwang besuchen, daher diese Lösung) und verabreichten den Gästen sechs Whiskys:
Billy Abbott präsentierte als Einstieg einen Bourbon-Balblair:

Mark Watt legte nach:

Als dritter Whisky kam von Mark ebenfalls ein Grain zum Ausschank: Dumbarton 2000, 20 yo, Electric Coo Whisky, Refill Hogshead + Ex-Islay-Cask (Caol Ila), 52,0% (noch unveröffentlicht).
Dann folgte ein Highlight von David:

Grandioser Whisky, auf den halte ich ein Auge, wenn er im Verkauf landet: komplex und dennoch süffig, ein superrunder Dram.
Whisky Nummer fünf von David entpuppte sich ebenfalls als eine (ggf. etwas süße) Bombe im Glas:

Den Abschluss bildete ein zweiter Dram von Billy Abbott, der die rauchige Variante eines Edradour, einen Ballechin ausschenken ließ:

Was für ein tolles Tasting! Mit vielen Anekdötchen und Gags vergingen fast anderthalb Stunden wie im Fluge.
Danach ging es nochmal zurück an die Sharing Tables. Ein paar Gespräche und zwei wirklich allerletzte Drams, bevor dann das Bett rufen sollte:


Seelig machte ich mich schließlich auf den Weg in meine Cabin. *zzz*
Samstag
Mit einem grandiosen Full Scottish Breakfast begann am folgenden Morgen der Tag. Dazu ein Heißgetränk – und für Manche*n war tatsächlich schon ein kleiner Frühstückswhisky drin. Den ließ ich links liegen, dafür sprach ich mit Maltstock-Organisator Bob Wenting.
Bob berichtete von einigen mühseligen Hindernissen, die sich bei der Planung der diesjährigen Veranstaltung in den Weg gestellt hatten. So sprang zwei Wochen vor dem Termin der Caterer ab. Und Maltstock catern heißt (auf die Personenzahl gesehen) abstruse Essensmengen vorhalten zu müssen. Bob erklärte, dass beispielsweise beim kommenden Barbeque am Samstagabend pro Person 1.200 g Essen verzehrt würden. Trotz der Tatsache, dass das die Beilagen einschließt eine Menge, die jeder Caterer instinktiv als absurd hoch zu kürzen geneigt ist. Jo, die frische Luft im Wald macht hungrig …
Selbst der gereichte Mitternachtssnack aus panierten Käsesticks wird mit 300 g pro Nase veranschlagt und restlos verzehrt. Heijeijeijei.
Zur Gästezahl befragt erklärte Bob, dass in diesem Jahr (durch COVID-Auflagen einerseits und durch Absagen von mit Quarantäne bedrohten Besuchern aus einigen Ländern andererseits) inkl. der 23-köpfigen Orga-Crew 150 Leute auf dem Areal unterwegs sein. In normalen Jahren sind dies rund 230 Personen. Wieder was gelernt, lieben Dank für das Gespräch. 🙂
Nach dem Frühstück
Im windig-regnerischen Overasselt ließ ich es nach dem Frühstück ruhig angehen, setzte beim ‚Detox Walk‘ (bzw. richtiger ‚Retox Walk‘), einem geführten Spaziergang durch die angrenzende Landschaft des Schullandheims, aus, setzte mich vor die kleine Kapelle auf dem Grundstück (in der auch Tastings abgehalten wurden), verhalf mir zum ersten Tropfen des Tages und schrieb bis hierhin an diesem Nachbericht …

… und wie das so ist: bei Maltstock ist man nie lange allein: eine Handvoll netter Mitglieder der Crew gesellte sich zu mir, ich klappte den Rechner zu und wir tauschten gegenseitig ein paar SEHR leckere Superdrams aus, die wir gemeinsam vor der Chapel genossen:




Das waren absolute Spitzenwhiskys, sicherlich die Highlights des Wochenendes. Toll, sich mit ein paar gleichartig Verrückten solche Bälle zuspielen zu können. 🙂
Da der Organisator des WFNN (Whisky Festival Noord Nederland) Teil der Gruppe war, konnte ich erfahren, dass im kommenden März die schon 15. Ausgabe des Groninger Festivals ansteht und (ob des Jubiläums) an einer besonderen Ausgestaltung gearbeitet wird. Klasse, den Termin merkte ich mir gleich mal vor …
Dann galt es abzuräumen, denn heute war der Tag der ‚Drinks with …‘-Sessions: verschiedene Abfüller und Händler luden zu 20-minütigen Tastings ein, in denen je zwei bis drei Whiskys ausgeschenkt werden sollten. Ich hatte das Angebot gescannt und meinen persönlichen Fahrplan durch den Tag erstellt: jetzt gleich, um 12.00 Uhr sollte es losgehen – die Whiskybase, bzw. deren unabhängiger Abfüller Archives war mein erstes Ziel.
Zwei sehr leckere Abfüllungen, ein für den Export in die USA bestimmter Blend sowie ein Traum von einem 1996er Ben Nevis wurden ausgeschenkt:


Ein exzellenter Start in den zweiten Maltstock-Tag. Ein leichtes Mittagessen bestehend aus Suppe nach Wahl und belegten Brötchen sowie eine anschließende, kurze kontemplative Pause stärkten mich für meine zweite Tastingsession.
Um 14.00 Uhr fand ich mich in einer sehr unterhaltsamen Session des unabhängigen Abfüllers Single Cask Nation ein, in der ein Grain und ein ziemlich verrückter junger Glen Garioch präsentiert wurden:


Der Glen Garioch bot Noten von Zimt, eine starke Würze – absolut interessant.
Ob des tollen Angebots kam ich irgendwie aus den Tastings kaum heraus, von einem ging es ins Nächste. Nach Single Cask Nation spülte es mich zu Billy Abbott, der (erneut virtuell zugeschaltet) ein Tasting für The Whisky Exchange gab. Ausgeschenkt wurde:



Drei wirklich schöne Abfüllungen, von denen ich schwerlich sagen kann, ob mich der (durch seine Alkoholstärke) superintensive, fleischige Glenfarclas oder der saubere Bourbon-Glenlossie mehr begeistert haben. Ein großartiges Lineup!
Nach dem Tasting einmal frische Luft atmen, kurz Pause machen – und *huch* auf einem der Sharing Tables noch einen interessanten, für Belgien abgefüllten Kilchoman stehen sehen. Na gut, den noch schnell probiert:

Weiterhin blieb mir keine Zeit für Rast und Ruh: Whisky Import Nederland stand mit einem Tasting auf dem Plan, es sollten ein Ire, ein Schotte und ein Engländer verkostet werden:



Hmm, damit tat ich mich schwer: der Ire nicht unlecker, aber die Frucht des Fercullen wirkte reingefinisht und parfümig, dazu mit 180 € unsagbar teuer. Der Ardnamuchan ging. Der Cotswolds ging. Beides nichts, was mein Herz erheben könnte – ich verstehe das meiste der blutjungen Experimente nicht wirklich, etwas Komplexität im Glas ist mir da lieber. Aber gut …
Direkt im Anschluss sollte noch ein letztes Tasting anstehen, das bestimmt Trost bieten würde: Maltstock-Organisator Bob Wenting ist niederländischer SMWS-Ambassador, vertritt also die Scotch Malt Whisky Society. Und er präsentierte vier Abfüllungen der Gesellschaft:
Mit einem Cask Sample ging es los: ein Clynelish aus Fass #800380, destilliert 2011, abgezapft im September 2020 mit 57,29%. Das gute Stück war wirklich roh aus dem Fass geflossen, in meinem Glas sammelten sich Rückstände der Holzkohleschicht des Fasses:

Es folgten drei weitere SMWS-Abfüllungen:



Wow! Das waren alles tolle Abfüllungen ohne Fehl und Tadel. Mit der Tendenz zu oberlecker. Vor allem der letzte Clynelish, der getorft war, schlug ziemlich aus der Art und war in meinen Augen ein echtes Juwel.
Ich verließ den Tastingraum und bei Kleinem stieg meine Vorfreude auf das Abendessen in Form des alljährlichen großen Barbeques.
Auf dem Weg dahin sollte mich noch Dirk, Inhaber der Whiskybase, abfangen und ein kurzer Plausch ging nicht ohne die Verabreichung eines monströs leckeren alten Sherry-Whiskys unbekannter Herkunft vonstatten:

Es folgte ein ausladendes und exzellentes Abendessen, nach welchem dann noch einmal Gelegenheit für eine kurze Auszeit blieb, bis um 21.00 Uhr mit dem Campfire, einem großen Lagerfeuer samt toller Abschlussshow und (natürlich) ein paar Drams der Samstag seinen Höhepunkt und dann sein Ende finden sollte.
Die aus Quarantänegründen ferngebliebenen Yumi Yoshikawa (Chichibu) sowie Joshua Hatton und Jason Johnstone-Yellin (Single Cask Nation) wurden per Videokonferenz zugeschaltet und dann konnten im Rahmen einer zweistündigen Show noch ein paar besondere letzte Drams verkostet werden:
Chichibu, Blended Malt Whisky

Cask Sample, Linkwood, 10 yo, Single Cask Nation, Ex-Bourbon Cask, for the Barrel Thief (Seattle, U.S.)
[Rum] Cask Sample, Brazilian Rum, 10 yo, Single Cask Nation, Bourbon Barrel, for the U.S.


Mit diesen wirklich exzellenten Tropfen im Glas und bei bester Unterhaltung am Feuer ging in großer Runde ein gelungenes und einzigartiges Whiskywochenende zu Ende. Zumindest fast: ohne ein zünftiges Full Scottish Breakfast am Sonntagmorgen sollte keine der Teilnehmer:innen das Schullandheim im Grünen verlassen.
Sonntag
Nach einer Nacht besten Schlafes bot sich beim abschließenden Frühstück für mich die Gelegenheit, einmal Bilanz zu ziehen.

Es war ein Genuss, einmal wieder unter einer großen Zahl von Whiskyenthusiast:innen zu sein. Es gab mehr als ausreichend zu trinken und einige wirklich tolle Abfüllungen waren dabei. Und der einmalige Vorteil, dass Maltstock zum Großteil draußen stattfindet, sprich mit begleitenden Maßnahmen wie einer hermetischen Verriegelung des Geländes und einem Zugang nur für Geimpfte, Genesene oder frisch PCR-Getestete (laut Bob waren tatsächlich 99% der Besucher geimpft oder genesen) ein COVID-gerechter Ablauf zu gewährleisten war, ist für mich ebenfalls ein wichtiger Aspekt.
Das war ein geniales Wochenende! Dank an alle alten Hasen, Dank allen neuen Bekanntschaften für die schönen Stunden und die wundervollen Drams!
Ich leerte meinen Frühstücksteller, lud meine Siebensachen ins Auto und machte mich auf den Heimweg. Und mit einem Grinsen im Gesicht drehte ich noch einmal – wie schon auf dem Hinweg – Jessica auf:
Auf Wiedersehen Maltstock, wir sehen uns nächstes Jahr! 🙂
Seb
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2009 hat Seb ersten ernsthaften Kontakt zu Single Malt, er infiziert sich instantan mit dem Whiskyvirus. 2012 initiiert der Leeraner die Gründung der regulars, seitdem verantwortet er die Organisation des ostfriesischen Whiskybundes. Mehr als 3.000 verkostete Whiskys sowie viele besuchte und selbst organisierte Whiskyveranstaltungen lassen Sebs Passion heute stärker lodern denn je.