4. Mai 2019, »Etwas eindimensional«, bei ted.striker in Leer
Moin ihr,
einmal im Jahr fließen bei uns ganz besondere Malts durch die Gläser: in unserem jährlichen regulars-Raritätentasting. Die Ausgabe für 2019 fand gestern statt – mit ein paar atemberaubenden Whiskies. Und so trat ein vorfreudiges Grüppchen zusammen, um sich einen Abend lang extravaganten und einzigartigen Genüssen hinzugeben.
Schauen wir auf die Drams des Abends
Eröffnet wurde das Tasting mit einem alten Standard, einem Glendullan von 12 Jahren Alter:

Ein schöner, geradliniger Sherry-geprägter Whisky mit ordentlich Old Bottle Flavour – der perfekte Starter!
Als Dram Nummer Zwei folgte ein 38-jähriger Glen Grant:

Sagenhaft: erst gelbe Früchte, dann fast der ganze Kreis aus Tropenfrucht und dem gegenüber viel viel Holz – Frucht und Holz in Mund und Abgang wie in Sinuskurven gegeneinander schwingend. Am Ende dann doch zu viel Holz, um mit diesem Glen Grant den perfekten Dram in Händen zu halten, aber allemal ein traumhafter Malt.
Nach diesem zweiten Whisky wurde das laufende Tasting unterbrochen für eine Sondermeldung
Uns wurde ungeplant ein Bonusdram zuteil: ein Freund der Runde hatte uns dieses Sample spontan zukommen lassen, sodass wir einen im Sinne unseres eigentlichen Lineups alter Raritäten artfremden irischen Exoten einschoben – natürlich voll Wonne 😉

Brombeere, rote Früchte, ein Kaleidoskop aus feinen Aromen – der vielleicht geilste Cassis-Eistee der Welt. Ein Whiskey, der einen hochpositiven Eindruck hinterließ und uns mächtig Freude bereitete. Gute Güte, passte der gut hinter den Gelbfrüchtler von eben. Vielen lieben Dank dem edlen Spender!
Zurück zum Ausgangsfahrplan
Ein 1976er BenRiach wurde uns zum Wiedergänger. Genau diese Abfüllung hatten wir in unserem allersten Raritasting verkostet und der Dram war damals zweifellos eines der Highlights. Eine Gelegenheit zur Zweitverkostung nun, viereinhalb Jahre später, ließen wir uns nicht entgehen.

Sherrytönigkeit in einem tropischen Fruchtkorb, Süße, Holz – alles gediegen, nobel und perfekt harmonierend. Der Sherry von altem Stil – was für ein Whisky!
Und noch ein weiterer Dram sollte vor der obligatorischen Pause folgen: ein 38-jähriger Glenallachie.

Kirsche satt, etwas Gummireifen, wiederum alter Sherry, schön stringent. Jedoch etwas eindimensional. Moment mal: ETWAS EINDIMENSIONAL? Der Kommentar aus der Runde brachte uns erst zum Lachen und dann zum Nachdenken.
Das war Topstoff erster Garnitur. Er fiel jedoch gegenüber dem BenRiach deutlich ab. Der „Muff“ des Alters verlieh im Tiefe, jedoch blieb von ihm ob seiner Süffigkeit im Vergleich mit dem restlichen Lineup nur der Eindruck eines „netten Digestivs“, der nicht die Komplexität seiner Vorgänger aufbieten konnte.
Oha. Wir spuckten mächtig große Töne über hervorragenden Whisky. Ein Alarmzeichen.
Vom Größenwahn gezeichnet verordneten wir uns mit letzter Kraft einen Spaziergang
Eine gute halbe Stunde frische Luft, danach das obligatorische, umfängliche Käsebuffet und etwas gedankliche Erdung standen an und taten uns allen sehr gut.
Zum Auftakt der zweiten Halbzeit sollte ein hochgelobter Tomatin auf uns warten:

Sherry, Honig, sehr cremig, weich, gefällig – jo, der passte gut in den Abend.
Danach lauerte einer der zwei vermeintlichen Über-Drams des auf uns: ein undisclosed Macallan von 1957:

„Ich bin aaaaalt. Aaaaalt!“ – schrie die Nase. Gediegen wachsig, staubig, mit genialer Sherryfrucht und für 40 Vol.-% beeindruckender Präsenz in Nase, Mund und Abgang war der alte Mac für uns ein sagenhaftes Erlebnis.
Und wo wir schon an solchem Höhenfeuerwerk erfreuen durften, kam der nächste Malt, ein 15-jähriger Unblended Laphi aus den 1980ern uns mehr als gelegen:

Muffiger Laphroaig-Stil, sein Alter geradezu herausschreiend. Im Mund salzig, jodig, sehr sehr schwierig zu trinken. Ein genialer Paradiesvogel, ein Eremit. Exzentrisch wie ein Kamel, dass uns als Tourist ins Gesicht spuckt. Sprich alles andere als die reine Wonne, jedoch DIE eine Urlaubserinnerung, die wir NIE vergessen werden. Wir tippten, dass wenn man diesen Whisky 10x verkosten würde, zehn unterschiedliche Kämpfe mit ihm anstünden, um ihn zu entschlüsseln. Und das machte ihn so unfassbar gut: wer hat einen so kantig-salzigen Hammerstil als Alltags-Dram gekauft damals? Der war nichts für mal eben so, der stellte eine harte Aufgabe im Glas dar.
Junge, Junge: was sollte nach so etwas noch folgen?
Ganz schlicht der Schlussdram – ein Port Ellen:

Und der entpuppte sich als Textbuch-Port Ellen: betörend wie eine Sirene, mit Wasser gefährlich einfach und lecker naschbar. Ein angemessener Schlussakkord – mit Port Ellen macht man ja nie was falsch … 😉
Damit endete ein Abend voller Ausnahmewhiskies
Jeder Teilnehmer erchor sich einen anderen Whisky zum persönlichen Highlight des Tastings – was in Verbindung mit der Tatsache, wirklich keine Enttäuschung im Glas gehabt zu haben, vielleicht für die konstant hohe Qualität der Drams sprach.
Dieser Abend wird den Teilnehmern sicherlich für ein Jahr der Wartezeit auf das nächste Raritätentasting schöne und schönste Erinnerungen zum darin schwelgen liefern – Dank gilt dem gestrigen Expeditionsteam für das gemeinsame Heben der raren Whiskyschätze …
Tja, Whisky kann so überragende Erlebnisse bieten und derart schöne Stunden bescheren, dass es uns schlicht nicht langweilig werden mag. Und mit solchen Drams auch niemals Routine.
Dem Himmel sei dafür Dank,
Seb und die regulars
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2009 hat Seb ersten ernsthaften Kontakt zu Single Malt, er infiziert sich instantan mit dem Whiskyvirus. 2012 initiiert der Leeraner die Gründung der regulars, seitdem verantwortet er die Kernorganisation des ostfriesischen Whiskybundes. Mehr als 3.000 verkostete Whiskys sowie viele besuchte und selbst organisierte Whiskyveranstaltungen lassen Sebs Passion heute stärker lodern denn je.