20. Januar 2019 (zuletzt bearbeitet am 17. November 2019), Von Whiskyverkostungsvideos und der Frage nach dem Mehrwert.
Moin ihr,
so ziemlich niemand von uns würde sich wohl in einer Geschmacksfrage zu einem Gespräch hinreißen lassen, dessen Ziel die Festlegung der einen, richtigen Position ist. Der Einen läuft beim Gedanken an eine gebratene Rinderleber das Wasser im Mund zusammen, dem Anderen kommt bei genau demselben Gedanken das Würgen an. Geschmack halt: du so, ich so.
Dass man oftmals nur für sich selbst erkunden kann, was einem wie und warum mundet und dass anderer Menschen Urteil einem nur sehr begrenzt Hilfestellung sein kann, war bereits in einem vorangegangenen Artikel über Bewertungen in der Whiskywelt meine These. Der Whisky, der dir schmeckt, muss mich nicht begeistern. Was du so lala findest, kann mich total umhauen.
Ich möchte mich heute einem speziellen Feld des whiskyzentrierten Meinungsaustausches Empfehlungsmarketings widmen: Verkostungsvideos. Wer hat noch nicht einem mit 99%iger Wahrscheinlichkeit männlichen, mit 90%iger Wahrscheinlichkeit in einem Sessel hockendem Whiskyfreund auf YouTube dabei zugesehen, wie er schnüffelnd, schlürfend und schmatzend einen Whisky probiert und für den Betrachter eingeordnet hat? Die Zahl von Verkostungsvideos steigt rasant an, neue Verkoster*innen tauchen auf und derartige Videos erreichen immer größere Zuschauerzahlen.
Die Frage nach dem Warum
Nehmen wir zuerst einmal eine junge, fröhliche Whiskyfreund*in als Beispiel, die ohne kommerzielle Interessen schlichtweg ihre Begeisterung für Whisky mit der Welt teilen möchte und uns virtuell an ihren Geschmackserfahrungen teilhaben lassen möchte. Kein kritikwürdiger Ansatz, oder?
… geht über studieren!
Aber welchen Wert bieten uns derartige Verkostungsvideos? Kann uns das von stetigem Kopfnicken und einem himmelwärtigen Augenverdrehen untermalte, raumgreifende in-der-Luft-Gefuchtel als nonverbaler Ausdruck der unschlagbaren Qualität des noch im Mund befindlichen Whiskys als Kaufempfehlung dienen?
Kann uns weiter das (im Regelfall recht oberflächliche) Herunterrattern errochener oder erschmeckter Eindrücke eines Anderen auf der Suche nach einem Whisky helfen? In meinem Fall lautet die Antwort hier eindeutig nein.
Psychologie bites
Es gibt genau einen Grund, aus dem ich hin und wieder das eine oder andere Verkostungsvideo schaue: nämlich, um mir (es ist wieder die blöde menschliche Psyche mit ihren Schwächen 😉 ) bei einem Whisky, der mich selbst im Glas begeistert hat und von dem ich eine Flasche im Vorrat stehen habe, von der YouTube-Verkoster*in bestätigen zu lassen, dass ich da eine ganz ganz tolle Wahl getroffen habe und mein Whisky ein absolutes Superstöffchen ist. Kommt die Verkoster*in zu diesem Urteil, bin ich erleichtert (und überwinde eine etwaige Kaufreue); kommt sie es nicht, spreche ich ihr instantan jede Eignung zum Abgeben einer durch mich ernst zu nehmenden Bewertung ab. Haha, so sind wir Menschen halt gepolt, wenn wir uns mal ehrlich machen.
Es geht nicht um geheime Machenschaften – diese liegen auf der Hand
Neben der Krux, dass eigenes Probieren durch nichts zu ersetzen ist, gibt es noch ein deutlich größeres Problem mit der Schwemme von Verkostungsvideos: viele der erfolgreicheren Verkoster*innen werden aus der Whiskyindustrie oder von Whiskyhändler*innen mit Proben für ihre Videos versorgt. Ob ein Urteil über einen gesponserten Whisky so neutral (neutral nur aus der Innensicht der Verkostenden – normativ ist da gar nichts neutral, das versteht sich) ausfällt, als wenn die verkostete Flasche bzw. das Sample selbst gekauft worden wäre, darf bezweifelt werden. Ist für unsere YouTuber*in doch super, wenn morgen weitere spannende Whiskys in der Post sind – da will man es sich doch durch Verrisse nicht mit den Absender*innen verscherzen.

Screenshot: aus © Talking Malts / YouTube
Noch deutlicher ist diese Verzerrung logischerweise, wenn es sich bei den Verkostern selbst um Whiskyhändler*innen handelt. Dass ich das, was ich dem Konsumenten verkaufen möchte, unabhängig von meiner eigenen Meinung nicht kritischst-möglich verhandele, sondern tendenziell immer etwas über Gebühr lobe, ist mein Kerninteresse als Händler*in. Wer schießt sich schon selbst in den Fuß? Außer vielleicht in einem von 50 produzierten Videos, wo eine einzelne, deutliche Negativkritik mir als Beweis für Kredibilität und Unabhängigkeit dienen kann, obwohl diese nicht existiert.
Schokolade, Kaffee und Orangen. Morgens, mittags und abends.
Wenn ich als Zuschauer mich doch überwinde, auf inhaltlicher Ebene (in der es ja um eigentlich nur schwerlich Debattierbares, weil um individuelle Geschmacksurteile geht) mit Verkostungsvideos auseinanderzusetzen, komme ich wieder und wieder zu dem Ergebnis, dass in den Aufmerksamkeitsspanne-optimierten Clips binnen kürzester Zeit das Einschenken, Verriechen, Verkosten und parallel das Bewerten und Einordnen geleistet wird. Wenn es sein muss, wird ein Malt in drei Minuten hinuntergegurgelt und beschrieben. Die gewonnenen Eindrücke bleiben stets an der Oberfläche. Wird ein Sherryfass-gereifter Whisky verkostet, lässt sich mit guter Quote auf „*riech* Orangen! *schnüffel* Schokolade! *schnief* Und Kaffee!“ als aufeinander folgende Aromenbeschreibung wetten. Bei Bourbonfass-gereiften Whiskys geht es oftmals nicht über „Eine starke Süße! Vanille!“ hinaus. Und auch abseits der Aromenbeschreibungen sind die inhaltlichen Lobeshymnen auf das Verkostete bei vielen YouTuber*innen stets wiederkehrend. Glaubt ihr nicht?
Kein Bullshit: hier kommt die Bingokarte

Die Bingokarte findet sich hier als PDF zum Download: probiert es doch selbst und schaut, wieviel Minuten Verkostungsvideo(s) es braucht, bis es heißt: Oooh, that’s a bingo! Und für jedes Bingo probiert doch zur ‚Strafe‘ einfach mal selbst und blindlings einen Euch unbekannten Whisky – so ganz ohne Vorempfehlung durch irgendwelche YouTuber*innen.
Die Friedenspfeife
Und damit hätte ich mich dann auch ausgetobt. Mit den voreingenommenen und oftmals oberflächlichen Eindrücken fremder Internetvideo-Onkels aus den Tiefen ihrer Sessel weiß ich nicht viel anzufangen – und lade auch Euch dazu ein, sich dieser Causa gegenüber kritisch einzustellen.
Ihr habt selbst Erfahrungen – auch als Einsteiger in Sachen Whiskygenuss! Euch gefällt eine Region? Eine Brennerei? Eine Fassart? Prima! Dann wisst Ihr einerseits, in welche Richtung ihr mit ähnlichen Whiskys relativ ‚gefahrlos‘ weiterprobieren könnt und andererseits, welche weißen Flecke auf der Landkarte der Whiskywelt noch auf die spätere Erkundung durch Euch warten. Nehmt an Flaschenteilungen teil und probiert Euch selbstständig klug.
Aber: damit neben meinem Gemuffel und Gestänker zumindest etwas produktiv-Positives aus diesem Text abfällt und weil sich einjeder (auch in Sachen Verkostungsvideos) meiner Meinung nach tunlichst seine eigene Meinung bilden sollte, reiche ich den hier pauschal Kritisierten gern in der Form die Hand, alsdass ich im Folgenden eine Liste deutschsprachiger YouTube-Kanäle mit Verkostungsvideos (ohne Anspruch auf deren Vollständigkeit) mit Euch teile:
Kanal | Videos | Abonnenten |
Daniel Beuthner | 44 | 8.120 |
DerWhiskyClub | 345 | 6.260 |
Gruftes Whiskykiste | 65 | 333 |
it’s dram o’clock | 66 | 202 |
Malt Mariners | 50 | 206 |
Malte talks Malts | 94 | 256 |
Marco Bonn Brühler Whiskyhaus | 170 | 2.040 |
Pat Hock Whisky | 589 | 7.090 |
Schnaps.Blog | 64 | 174 |
Talking Malts | 231 | 2.910 |
taste. | 52 | 1.380 |
whic | 126 | 2.300 |
Whisky & Vinyl | 100 | 471 |
Whisky aus der Sicht eines Amerikaners | 1.734 | 2.300 |
Whisky Enjoy | 96 | 209 |
Whisky ERLEBNIS | 30 | 72 |
Whisky Evening | 177 | 924 |
Whisky Life | 245 | 627 |
Whisky Nerd | 216 | 1.260 |
Whisky Plausch | 33 | 157 |
Whisky Turntable | 230 | 2.160 |
Whisky Violence | 83 | 325 |
whisky- emotions | 132 | 381 |
Whisky-Dodo | 147 | 1.130 |
Whisky.de | 2.282 | 52.500 |
WhiskyBabbler | 320 | 1.230 |
WhiskyGold | 583 | 3.930 |
Whiskyzone | 182 | 2.640 |
World Wide Whisky | 37 | 207 |
Stand: 17. 11. 2019 |
Ein Wort zum Schluss: als erfreuliche Abgrenzung zu den meisten Kurzclips empfinde ich übrigens die (englischsprachigen) Inhalte von ralfydotcom, der mit 1.064 Videos und 126.000 Abonnenten wohl bekannteste YouTube-Verkoster. Seine verhältnismäßig sehr langen Videos thematisieren oft nur zu 5-10% der Zeit seine Eindrücke des soeben probierten Malts und liefern dafür viele tiefe Hintergründe rund um Brennereien, Entwicklungen in der Industrie und vieles mehr – mein ausdrücklicher Tipp zum Reinschauen.
Und damit einen schönen Sonntag Euch,
Seb
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2009 hat Seb ersten ernsthaften Kontakt zu Single Malt, er infiziert sich instantan mit dem Whiskyvirus. 2012 initiiert der Leeraner die Gründung der regulars, seitdem verantwortet er die Kernorganisation des ostfriesischen Whiskybundes. Mehr als 3.000 verkostete Whiskys sowie viele besuchte und selbst organisierte Whiskyveranstaltungen lassen Sebs Passion heute stärker lodern denn je.